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Besuch in Trakehnen im Herbst 2023

Published On: April 21, 2024Categories: Aktuelles, Historie

Dr. Horst Willer, April 2024

Nach langer und gründlicher Vorbereitung ist es Frau Birgit John trotz der schwierigen Bedingungen, die der ukrainisch –russische Konflikt mit sich gebracht hat, gelungen, im Herbst 2023 in den Oblast Kaliningrad, das ehemalige Ostpreußen, zu reisen. Sie ist ihrem Wunschgefolgt, noch einmal in dem Land ihrer Väter auf Spurensuche zu gehen und als Freundin des Trakehner Pferdes die Orte ehemaliger namhafter Gestüte aufzusuchen, darunter- wie könnte es anders nicht sein – auch das legendäre Hauptgestüt Trakehnen.

Der Vorstand des Trakehnen Vereins ist Frau Birgit John sehr dankbar dafür, dass sie ihren speziellen Reisebericht über ihre Eindrücke, die sie während ihres kurzen Aufenthalts in Trakehnen, dem heutigen Jasnja Poljana, gewinnen konnte, uns zur Veröffentlichung auf der Homepage unseres Vereins bereitgestellt hat.

 

 

Tempelhüter hinter Gittern

 Nach vier Jahren Abstinenz ging es für mich Ende September 2023 endlich wieder los in die Oblast Kaliningrad auf den Spuren meiner Vorfahren und der Trakehner Pferde.

Die Reisevorbereitung war diesmal weit umfangreicher als bei früheren Besuchen, aber auch spannend. Eigentlich hatte ich zunächst gar nicht damit gerechnet, als Polizeibeamtin ein erforderliches Touristenvisum zu erhalten, jedoch klappte dieses überraschend problemlos.

Die Herausforderungen begannen danach:

  • Wie bekomme ich eine russische Haftpflichtversicherung für meinen deutschen Pkw, wenn die Grüne Versicherungskarte nicht mehr gilt?
  • Wie kann ich die von mir als Unterkunft favorisierte „Alte Apotheke“ in Trakehnen erreichen, wenn Booking.com und ähnliche Portale für Russland nicht mehr funktionieren und Freenet alle Mails nach Russland automatisch blockiert?
  • Wie mache ich es mit dem Geld? Jegliche Kartenzahlung ist für EU-Bürger in Russland derzeit nicht möglich, aber auch kein Rubeleintausch in der EU. Also galt es, für meinen Geschmack viel zu viel Bargeld auf mehrere Verstecke und Portemonnaies zu verteilen und mitzunehmen.

Die Quartierbuchung für die „Alte Apotheke“ in Trakehnen, die ich in den Vorjahren als Gasthaus mit sehr freundlichem und zum Teil deutschsprachigem Personal kennengelernt hatte, gestaltete sich diesmal überraschend schwierig.

Mehrere Mails von mir wurden nicht beantwortet, telefonisch war das Gasthaus ebenso nicht zu erreichen.

Unterstützung bekam ich von der Agentur „Baltic Travel“ in Hamburg, von wo aus man nach mehreren mühsamen Versuchen und gegen Vorkasse über Umwege ein Zimmer für mich buchen konnte. Dass dieses mit 50€ pro Nacht für die dortigen Verhältnisse recht teuer war, interessierte mich dabei zunächst nicht. Jedoch wurde ich etwas unruhig, als mir die Agenturchefin viel Glück mit der Unterkunft wünschte und anmerkte, dass ihr die Angelegenheit etwas komisch vorkomme…

Nachdem die Vorbereitungen erledigt waren sollte es endlich losgehen!

Nach einem Zwischenstopp in Marienwerder  / Kwidzyn (PL), dem Geburtsort meiner Mutter, sollte es erst einmal ein ausgiebiges Frühstück geben, jedoch bekam ich trotz des opulenten Angebotes im Hotel Kamil vor Aufregung fast nichts herunter.

Eine Tasche mit u.a. möglicherweise „anstößigem“ Inhalt durfte ich freundlicherweise bis zu meiner Rückkehr im Hause deponieren, so dass ich im Notfall auch eine kleine Reserve dort wusste.

Aufgrund schlechter Erfahrungen mit polnischen Grenzern wollte ich über Litauen in die Oblast Kaliningrad ein- und ausreisen.

Nach ziemlich genau sechs Stunden Fahrt erreichte ich den Grenzübergang in Kybartai. Hier muss man sich zunächst auf einem Parkplatz elektronisch registrieren lassen. An der Schranke stand ich mit meinem Auto mutterseelenallein vor dem gespenstisch leeren Parkplatz. Nach kurzer Zeit sprang die Ampel auf Grünlicht und es ging eine Station weiter. Der mäßig freundliche litauische Grenzer fragte mich, ob ich Litauisch oder Russisch spreche und verdrehte die Augen, als ich dieses verneinte.

Mal ehrlich, wer außer Muttersprachlern spricht schon Litauisch? Wider Erwarten gestaltete sich die Abfertigung hier dennoch problemlos.

Auf russischer Seite angekommen ging es nach der Sichtung der Papiere damit weiter, dass ich jedes, aber auch wirklich jedes Gepäckstück auspacken und öffnen musste. Selbst das Innere des Wasserkochers wurde begutachtet. Dann folgte die visuelle Kontrolle des leergeräumten Autos durch zwei Grenzer.

Anschließend folgte ein Hund, Rasse Deutscher Schäferhund. Dieser fand das Fahrzeug zwar vermutlich ob der Duftnoten nach Pferd und Katze offensichtlich interessant, aber nicht illegal anrüchig. Als er sich mir schwanzwedelnd um die Beine strich wurde er harsch zurückgerufen.

Ich wähnte mich bereits am Ende der Prozedur, als es richtig interessant wurde. Man wies mich mit dem Auto in eine kleine gesonderte Halle. Hier musste ich alle mitgebrachten Lebensmittel auspacken und auf eine Waage legen. Da ich wie immer auf Selbstversorgung eingestellt war, hatte ich eine Menge Lebensmittel dabei. Was ich nicht wusste ist der Umstand, dass bestimmte Lebensmittel (welche genau blieb mir bis heute verborgen…) nur bis zu einer Gesamtmenge von 5kg eingeführt werden dürfen. Da ich jedoch einige Pakete Trinkschokolade mitführte, war ich schnell bei gut acht Kilogramm.

Nun ging die Diskussion mit dem freundlichen jungen russischen Grenzer, der leidlich Englisch sprach, los. Ist Kakao ein limitiertes Lebensmittel oder doch nur ein Getränk? Einige Telefonate später wurde entschieden, dass es sich um ein Getränk handelt und ich durfte alles wieder einpacken. Der gesamte Grenzübertritt war in anderthalb Stunden erledigt.

Ich genoss die Fahrt über die glücklicherweise noch existente Allee entlang der A 229 zwischen Stallupönen und der Abfahrt nach Trakehnen.

Später bemerkte ich, dass die bereits im Stile einer Bundesstraße ausgebaute  A229, die von der litauischen Grenze in der Nähe der strategisch heiklen „Suwalki-Lücke“ schnurstracks nach Kaliningrad führt, derzeit mit nahezu brachialer Gewalt 24/7 autobahnartig ausgebaut wird.

Mich beschlich ein sehr ungutes Gefühl nicht nur hinsichtlich der schönen Bäume…

Doch vorerst freute ich mich auf die Unterkunft in der Alten Apotheke in Trakehnen.

Zu früh gefreut!

In Trakehnen angekommen fand ich die Alte Apotheke „tot“ vor. Mausetot. Auf Klingeln und Klopfen wurde nicht geöffnet. Ich war der Verzweiflung nahe und erinnerte mich an die Bedenken seitens „Baltic Travel“.

Die Alte Apotheke

 

Nach guten Erfahrungen im Jahr 2019 wollte ich unbedingt wieder in der Alten Apotheke unterkommen. Damals war das Quartier in Ordnung, es gab ein ordentliches Frühstück in einem spannend gestaltetem Raum, und das freundliche Personal sprach überwiegend Deutsch.

Nun stand ich hier vor verschlossener Tür. Was nun?

Irgendwann entdeckte ich, dass auf der Nebeneingangstür zu dem Zimmer, in dem ich 2019 wohnte, außen ein Schlüssel steckte. Vorsichtig öffnete ich die Tür und schaute mich um. Das Bett war irgendwann einmal bezogen worden, in der Dusche stand eine halbleere polnische Flasche mit Duschgel, die auch schon bessere Tage gesehen hatte. Das Leitungswasser war für mich wie in den Vorjahren nicht brauchbar und stank erbärmlich, aber darauf war ich vorbereitet. Nach anfänglichem Zögern beschloss ich, dort einzuziehen, bevor ich kurz nach Insterburg, dem Geburtsort meines Vaters, fuhr.

Nach meiner Rückkehr aus Insterburg wurde auf dem Parkplatz der Alten Apotheke gegrillt. Als man meiner ansichtig wurde, verließen die Personen fluchtartig das Gelände unter Hinterlassen ihres Grillgutes auf dem Rost. Ich war wiederum irritiert.

Später fand ich heraus, dass sich die Alte Apotheke derzeit im Besitz des Bürgermeisters von Stallupönen bzw. seiner Frau befindet. Seit Corona rentiert sie sich wohl nicht mehr und liegt im Dornröschenschlaf. Ein zugesagtes Frühstück gab es natürlich auch nicht. Alles nicht schlimm, nur das Passwort für das WLAN hätte ich gerne gehabt…

In den nächsten Tagen machte ich mir einen Spaß daraus, offensichtliche Angestellte der Alten Apotheke freundlich zu grüßen, wenn ihnen versehentlich nicht schnell genug die Flucht vor mir gelang.

Natürlich führte mich der erste Weg zum ehemaligen Hauptgestüt Trakehnen, dem Trakehner Tor, dem Landstallmeisterhaus, der Tempelhüter-Statue.

Doch was ist das?

 

 

Nicht nur, dass vor dem Trakehner Tor eine neue, wenig dekorative Bushaltestelle steht – das gesamte Parkareal inclusive Landstallmeisterhaus, Remisen, Reitburschenhaus und der Tempelhüter-Statue ist mit einem übermannshohen, massiven und verschlossenen Metallzaun eingepfercht.

Kein freier Zugang mehr!

Irritiert knipste ich ein paar Fotos durch die Gitter und trollte mich.

 

Tempelhüter hinter Gittern

 

Am nächsten Morgen machte ich mich erneut auf in der Hoffnung, für ein paar Fotos Zugang zu dem umzäunten Gestütsgelände zu erlangen.

Als eine erste Schulbedienstete erschien fragte ich sie freundlich, ob ich für ein paar Fotos auf das Gelände dürfte. Sie antwortete ebenso harsch wie einsilbig in nahezu akzentfreiem Deutsch mit „NEIN!“ und zog das schwere Metalltor krachend hinter sich ins Schloss.

Verstanden hatte sie meine Frage eindeutig. Wieder zog ich wie ein geprügelter Hund von dannen.

An der neuen Bushaltestelle saßen zwei ältere Jungs und musterten mich abschätzig.

So richtig wohlgefühlt habe ich mich dabei nicht, was ich von früher nicht kannte…

 

Der Zaun am Landstallmeisterhaus

 

Ich hatte meinem russischen Übersetzer und zeitweiligem Begleiter von meinen Fehlversuchen in Trakehnen berichtet. Am nächsten Morgen erschien er wie vereinbart, verschaffte sich am verschlossenen Tor Gehör und verlangte als ehemaliger Oberstleutnant der Sowjetarmee unmissverständlich die Schulleitung zu sprechen.

Wenig später erschien eine offensichtlich beeindruckte, äußerst höfliche und elegant gekleidete Dame.

Die Schulleiterin gewährte uns freundlich Eintritt und erklärte, dass alle russischen Schulen jetzt aus Sorge vor Anschlägen mit einem Zaun gesichert werden müssten (diese Aussage fand ich später auch an anderen Schulen und Kindergärten bestätigt).

Sie bat darum, den Vorfall vom Vortag zu vergessen. Natürlich dürfe ich mich auf dem Gelände und im Museum umsehen und auch fotografieren.

 

Blick aus dem Landstallmeisterhaus auf Tempelhüter

 

Ein besonderes Anliegen war mir, von der berühmten Burgsdorfeiche im Gestütspark ein paar Eicheln einzusammeln. Bei meinem vorherigen Besuchen scheiterte dieses daran, dass frühmorgens eine Schafherde über das damals noch offene Gelände getrieben wurde, die die frischen Eicheln auffraß. Jetzt konnte ich einige Eicheln sichern.

Im Landstallmeisterhaus kam später die sympathische Schulsekretärin hinzu, die gut Deutsch sprach und sich sichtlich freute, ihre Sprachkenntnisse anbringen zu können.

Im Museum selbst hat sich seit meinem letzten Besuch 2019 gefühlt nicht viel verändert. Es war sauber und aufgeräumt – und seltsam still.

 

Museum im ehemaligen Landstallmeisterhaus Trakehnen

 

Abgerundet wurde der Besuch mit einer Einladung zum Tässchen Tee im Schulsekretariat im Landstallmeisterhaus, für mich ein besonderer Moment.

Beim Hinausgehen aus dem Landstallmeisterhaus konnte ich einen Blick auf den aktuellen Stundenplan der dortigen Schule erhaschen. Deutsch steht nach wie vor auf dem Lehrplan.

 

Innerhalb des Zaunes befinden sich die heutigen Schulgebäude inclusive des Parks in einem weitestgehend gepflegten Zustand, die imposanten historischen Gestütsimmobilien außerhalb dessen wie die Reithalle und der Auktionsstall sind hingegen überwiegend dem Untergang geweiht. Erstmals habe ich mich nicht mehr getraut, die vermeintlich einsturzgefährdete Ruine des Jagdstalles zu betreten.

 

Reithalle, Jagdstall und Sekretariat

 

Die entlegeneren Örtlichkeiten wie die früheren Vorwerke und den ehemaligen Hauptbeschälerstall habe ich diesmal nicht besucht, dafür standen mit Gumbinnen, Insterburg, Georgenburg, Weedern, Lugowen, Königsberg, Perkallen, Angerapp, Klein Beynuhnen, Gudwallen, Zwion,…, noch zu viele Ziele in recht kurzer Zeit auf dem Plan. Ich bitte um Verständnis, dass ich die alten deutschen Namen benutze – es fällt mir einfach leichter und hat nichts mit irgendeiner Gesinnung zu tun!

Die auffälligste Veränderung im Ortsbild von Trakehnen ist das Verschwinden des mächtigen Speichers im Dorfkern. In der Vergangenheit hatte man mehrfach erfolglos versucht, ihn zu sprengen – und jetzt ist er tatsächlich weg.

An dessen Stelle befindet sich heute ein weitläufiger Platz mit einem gepflasterten Trakehner Symbol, der doppelten Elchschaufel. Warum hier allerdings nicht der originale Hauptgestütsbrand in Form der einfachen Elchschaufel Verwendung fand, konnte mir niemand beantworten.

 

Neu aufgestellte Hinweistafeln zur Geschichte Trakehnens wurden durch Vandalismus bereits wieder zerstört.

 

Den kleinen Laden gibt es ebenso noch wie die Post, das ehemalige Hotel Elch hingegen fristet ein trostloses Dasein.

 

„Magazin“ und ehemaliges Hotel Elch.

 

Nach wenigen Tagen hieß es Abschied nehmen von Trakehnen und der Oblast Kaliningrad.

Von der „Alten Apotheke“ reiste ich so ab, wie ich „empfangen“ wurde: Ich steckte den Schlüssel außen auf die Haustür und fuhr los.

Kurz vor der Grenze noch schnell die letzten Rubelchen ausgegeben und getankt, aus unserer Sicht paradiesisch für umgerechnet 64, 99 Cent pro Liter Diesel.

Auf der Hinreise hatte meine Entscheidung, über Litauen anstelle von Polen ein- und auszureisen, mit einer Gesamtdauer von anderthalb Stunden für den Grenzübertritt bereits bewährt, wobei mich in der in der Presse angekündigte riesige Lkw-Stau für die Ausreise etwas besorgte.

An der russischen Kontrollstelle angekommen verlief alles angenehm ruhig und professionell. Neben den erforderlichen Unterlagen wurde der Inhalt meines Autos diesmal nur grob gesichtet, so dass ich nach einer Viertelstunde durch war.

An dem tatsächlich vorhandenen kilometerlangen Lkw-Stau mit Wartezeiten von zwei Tagen für die Trucker vor dem litauischen Kontrollpunkt fuhr ich einfach langsam im Gegenverkehr vorbei. Dort unbehelligt angekommen ließ man mich als einzigen Pkw zunächst eine halbe Stunde warten. Dann war ich an der Reihe, wobei meine extra für diese Reise beschaffte Dashcam den Unmut des litauischen Kontrollierenden erregte. Er verlangte die Herausgabe der SD-Karte und teilte mir dann mit, dass die Kamera verbotswidrig den Grenzübertritt aufgenommen habe. Als „Technik-Legastheniker“ hatte ich geglaubt, die Kamera speichere die Aufnahmen lediglich im Falle eines Unfalls…

Nach einer gefühlt langen Stunde Wartezeit kam der Beamte mit einem litauischen Bericht ohne jegliche Übersetzung wieder, forderte ein paar Unterschriften und teilte ermahnend mit, dass dieser Erstverstoß ausnahmsweise gebührenfrei geahndet werde. Dann durfte ich passieren. Eines scheint mit mein „Vergehen“ jedoch erspart zu haben: Ursprünglich hatte der Grenzer angekündigt, wirklich JEDES GEPÄCKSTÜCK von mir durchsehen zu wollen. Hierauf verzichtete er nun und war wohl froh, mich und mein Auto loszuwerden…

Insgesamt verlief die Reise in die Oblast Kaliningrad ohne jede Schikane oder Behelligungen. Meine vorherigen dahingehenden Sorgen waren unbegründet. Ganz im Gegenteil, bei Unsicherheiten oder kleinen Fehlern wurde mir ausnahmslos rücksichtsvoll begegnet.

Einen Grenzübertritt über Litauen kann ich ebenfalls nur empfehlen.

Mich haben die Tage in der Oblast erneut geerdet, demütig gemacht.

Wieder zu Hause erfreute ich mich an den scheinbaren Selbstverständlichkeiten des Lebens, angefangen mit brauchbarem, nicht ekelhaft stinkendem Wasser aus dem Hahn.

 

Birgit John

 

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